Das Image der Betagten- und Pflegeheime hat unter den Corona-Schutzmassnahmen gelitten. Mitten in der Pandemie übernahm Laurent Déverin das Präsidium von «Curaviva St.Gallen». Eine seiner ersten Aufgaben ist es nun das verzerrte Bild des Heimbetriebs in der Öffentlichkeit zu korrigieren und die Gesellschaft vor falschen, politischen Entscheiden zu bewahren.
Autor: Ralph Dietsche
Während Wochen waren die Bewohnenden von Betagten- und Pflegeheimen auf Grund der Corona-Pandemie von der Aussenwelt abgeschnitten. Bilder von hohen Absperrgittern und Schleusen mit Sicherheitskräften haben sich in die Köpfe eingeprägt. Bilder, von einer Ausnahmesituation, wie es sie noch nie gab. Inzwischen wurden die drastischen Massnahmen stark gelockert. In den meisten Heimen gelten lediglich noch erhöhte Hygienevorschriften und die Pflicht des Erfassens der Kontaktdaten der Besuchenden. Auch wenn die Heime wieder zugänglich sind und sich die Bewohnenden innerhalb der Heime aber auch ausserhalb des Areals frei bewegen können, sehen einige die Heime als Hochsicherheitstrakt oder «Gefängnis». «Diese Wahrnehmung entspricht nicht der Realität. Unseren Bewohnenden geht es gut. Sie können Besuch empfangen, Ausflüge unternehmen oder in der Umgebung spazieren», erklärt Laurent Déverin. Als Geschäftsführer leitet er das Betagtenheim Geserhus in Rebstein. Gleichzeitig präsidiert er die Sektion St.Gallen des Branchenverbands «Curaviva». Die Arbeit wird dem frisch gewählten Präsidenten nicht ausgehen. Vor allem die Folgen der Corona-Massnahmen werden ihn noch lange beschäftigen.
Leistung der Freiwilligen ist existenziell
Aktuell fehlen in vielen Heimen die freiwilligen Helferinnen und Helfer, welche vor der Pandemie die Fachpersonen unterstütz und den Heimbewohnenden Zeit und Abwechslung geschenkt haben. «Vom Besuchsverbot waren auch die Freiwilligenarbeit betroffen. Diese wurde zum grössten Teil über Monate von Mitarbeitenden übernommen, die einen Teil ihrer Freizeit zu Gunsten der Heimbewohnenden einsetzten», erklärt Laurent Déverin. Die Freiwilligen sind nach den Öffnungsschritten leider vielerorts nicht wieder so rasch zurückgekehrt wie erhofft. Die Gründe sind vielschichtig. «Ein grosser Teil der Freiwilligen ist im fortgeschrittenen Alter und gehört dadurch der Risikogruppe an. Andere haben den Unterbruch zum Anlass genommen ihre Freiwilligentätigkeit zu beenden, wiederum andere haben Respekt vor dem Virus, sind in ihrem Verein oder ihrer Gruppierung noch nicht organisiert oder haben inzwischen andere Aufgaben übernommen», weiss Laurent Déverin. Er und seine Berufskolleginnen und -kollegen hoffen, dass sie künftig wieder auf die wertvolle Unterstützung von Freiwilligen zählen können: «Ein Heim kann langfristig nicht ohne Freiwilligenarbeit geführt werden. Schon rein aus finanzieller Sicht nicht. Diese Unterstützung ist existenziell.»
Keine falschen Schlüsse ziehen
Viele Heime leiden aktuell an einer Unterbelegung. Dies verschärft die finanzielle Situation zusehends. Eine Momentaufnahme, die nicht zu falschen, politischen Schlüssen führen darf. «Vor der Pandemie führten die meisten Heime eine Warteliste. Nicht selten mussten Seniorinnen und Senioren bis zu einem Jahr warten, bis sie in ihr Wunschheim eintreten konnten. Andere wiederum mussten in Kauf nehmen, dass sie nur einen Platz ausserhalb der Region erhielten. Konkret ist mir eine Person aus Sennwald bekannt, die auf Grund fehlender freier Plätze in St.Gallen platziert wurde», sagt Laurent Déverin. Geplante Investitionen zurückzustellen, ganz darauf zu verzichten oder gar Heimplätze abzubauen ist laut dem «Curaviva»-Präsidenten gefährlich: «Wir und auch die Träger der Heime brauchen jetzt Geduld, bis sich die Situation normalisiert. Die Nachfrage und Belegung wird wieder steigen.» Einzelne Heime sehen bereits wieder Licht am Horizont. Zu diesen gehört das «Geserhus» in Rebstein. Der tiefste Bestand lag bei 31 Personen. Aktuell leben bereits wieder 43 Bewohnende im Betagtenheim. Tendenz steigend. «Allein diese Woche verzeichneten wir drei Eintritte. Und von unseren Feriengästen sind bis auf eine Ausnahme alle bei uns geblieben», sagt Laurent Déverin. Dies zeigt auch, dass es den Gästen gefällt: «Würden sie sich unsicher oder unwohl fühlen, würden sie nicht bleiben.»
Gemeinschaft als grosser Vorteil
An die Zeit des Lockdowns erinnert man sich ungern zurück. «Es war für viele eine schwierige und psychisch belastende Zeit. Für den grössten Teil der Gesellschaft. Nicht nur für Heimbewohnende», fasst der Heimleiter zusammen. Den Vorteil der Heime sieht er darin, dass trotz den restriktiven Massnahmen soziale Kontakte in der Heimgemeinschaft möglich war. Alleinstehenden im privaten Umfeld erging es anders. «Hinzu kommt, dass wir bestens ausgebildetes Personal haben, welches sich um unsere Bewohnenden kümmert und kreative Wege suchte, wie der Alltag möglichst normal gestaltet werden konnte», lobt Laurent Déverin. Die Häufung der Todesfälle war trotz allem vorhanden: «Bereits ohne Pandemie rechnen wir mit einer durchschnittlichen Fluktuation von 25 bis 30 Prozent. Hinzu kommt, dass von einer Pandemie vor allem die Schwächsten am stärksten betroffen sind.» Der Tod gehört zur Realität der Heime. «Das Entsetzen über die Todesfälle vor allem in den Medien war für mich befremdend. Schliesslich kommen die Bewohnenden aus irgendwelchen Gründen zu uns ins Heim. Sie verbringen hier ihren Lebensabend. Für uns gehört daher ein würdevoller und selbstbestimmter Umgang mit dem Sterben zum Alltag. Entsprechend wurden in den vergangenen Jahren die Palliativen-Angebote stark ausgebaut», erklärt Laurent Déverin. Abschliessend sagt der Verbandspräsident: «Die Heime haben sich über Jahre mit ihren Leistungen einen guten Ruf erarbeitet. Durch die Pandemie wurden wir in der öffentlichen Wahrnehmung um Jahrzehnte zurückgeworfen. Dies schmerzt und darunter leiden wir. Nun gilt es das Image durch unsere Arbeit wieder zu korrigieren.»
Zu Curaviva
Curaviva St.Gallen vertritt als Arbeitgeberverband die Interessen der 118 Betagten- und Pflegeheime im Kanton St.Gallen. Die Mitglieder bieten insgesamt rund 6’400 Langzeitpflegeplätze an und beschäftigen etwa 7’800 Mitarbeitende. Der Branchenverband fördert und unterstützt seine Mitglieder in ihrem sozialen Auftrag, betagte Mitmenschen zu betreuen. Zudem vertritt Curaviva die Interessen der Mitglieder gegenüber den Behörden, den politischen Instanzen, den Sozialen Versicherungsträgern und bietet Dienstleistungen an. Präsidiert wird Curaviva St.Gallen seit dem 5. Mai 2021 von Laurent Déverin aus Montlingen. Weitere Informationen unter www.curaviva-sg.ch