Oups, we did it again!
oder
Bitte nicht stören, wir sind schon gestört genug.
Der Morgen hätte so harmonisch sein können. Bitzli Latte Macchiato schlürfen und zuschauen, wie die verstrubbelten Kinder äugleinreibend die Treppe in den Wohn- (und eben Latte Macchiato-Bereich) runterschlurfen. Chli kuscheln und dann gemeinsam laaaaaangsam in den Kindergarten- und Arbeitstag starten.
Hätte. Aber es kam anders. Wie immer. Aber ich lerne das nie…
Nachdem ich zum Frühstück infolge Wackelzahn der Tochter die Äpfelschnitzli so sehr schnetzeln musste, dass sie ungelogen als Brei durchgehen würden („Weisch, susch ghait mir ebe min Zah use und das tuet ebe weh.“), hätte ich sie ja schon ein bisschen fühlen sollen.
Die bad vibes.
Aber nein! (Annähernd) blind wie ein Nashorn sitze ich an meinem Platz, lasse die Beine bambeln und freue mich voll naiv auf alles, was mir an diesem Tag noch wunderbares widerfahren würde.
Doch Obacht Mutter, freu dich nicht zu früh!
Tochter (5) schleicht sich von hinten mit ihrem pinkfarbenen Eulenpyjama über dem Kopf an. Mit wild rudernden Armen, die an einen betrunkenen Oktopus erinnern, ruft sie: „Kannst du mir bitte helfen mit meinem Schlafanzugoberteil?! Ich steck fest.“
Klar doch, komm her. Schwungvoll stehe ich auf und fühle mich so wertvoll, weil ich endlich wieder einmal gebraucht werde.
(Jede Mutter, die nicht schon eingeschlafen ist beim Lesen infolge nächtlicher Fürsorge zugunsten des Nachwuchses überlegt wohl gerade, ob ich DAS ernst meine. Nein, tue ich nicht. I feel you lovelys!)
Ich greife den Rand des Oberteils und na was wohl? Ich ziehe mit gefühlten 949 PS nach oben, um das Pischidesaster möglichst rasch zu beenden.
Tochter ruft zuerst „Hoppla“, dann „Mein Zahn“ und dann beginnt sie panisch zu schreien.
In diesem Moment begreife ich, was wohl das Weisse war, das da eben durch die Luft geschleudert wurde und irgendwo im Nirgendwo verschwand. Töchterlein japst immer noch nach Luft und ich verschwinde zackig, um die Bachblütentröpfli aus meiner Handtasche zu fischen. Da sind sie ja, meine Retter der Not, mein Airbag für Toibelianfälle, meine letzte Rettung bei akutem Hohl-tun infolge überreizter, hormonfehlgesteuerter Vorpubertät.
I love my Bachblütentröpfli, echt jetzt.
SCHPRUTZ! 3 Tröpfli direkt durch die Zahnlücke in den Mund und endlich beruhigt sich meine Kleine.
Doch hier herrscht nicht wieder Friede, Freude, Eierkuchen. Das wär für unsere Familie viiiiel zu simpel. Das Drama ist noch lange nicht durchgestanden. Die Frage drängt sich doch Jedem auf:
WO IST DENN JETZT DER ZAHN?
Wäre es Meiner, würde ich die Sache mit einem versöhnlichen „RIP Milchzahn“ abhaken. Aber die Gegebenheiten sind nicht auf Muttis Seite.
Und da sind wir mal wieder, die schrecklich nette Familie: Auf allen Vieren kriechen wir herum, schenken dem Hochflorteppich besondere Aufmerksamkeit und suchen, suchen und suchen.
Irgendwann, genau zwei Minuten vor Aufbruch in den Kindergarten dann die Erlösung: Hier liegt das Ding.
Ich hole das legendäre Milchzahn-Konfiglas (jaja, Rabenmutter ich weiss) und verschliesse es eigenmächtig so fest wie ich kann, als das Ding endlich eingeglast (dieses Wort existiert tatsächlich) ist.
Töchterli zottelt voller Stolz fröhlich die Strasse hoch und ich tue das, was ich immer tue. Ich lächle wie ein Honigkuchenpferd, rufe hundertmal „Tschühüüüss“ und winke energisch hinterher. Sobald die Süsse nicht mehr zu sehen ist, lasse ich den Arm sinken, wische mir eine Schweissperle von der Stirn und seufze laut. Nicht weil ich erleichtert bin, wegen dieses filmreifen Happy Ends. Sondern, weil ein Bliltzgedanke das Erfolgserlebnis von gerade eben trübt.
Mir dämmerts Leute: Heute Nacht muss ich wieder ran! Dabei sind die Erinnerungen an Wackelzahn Nummer 1 noch ganz frisch. Ich seh mich schon. Wiederholungstäterin. Als Pseudozahnfee mit meinen Glitzerpailetten und dem Organzabeutelchen. Und ich schwöre. (Ja gut, ich hab die Finger gekreuzt, ich gebs zu.) Ich hab sie wirklich lachen gehört. Hämisch und schadenfroh: Die echte Zahnfee.
Mensch, wie ich mich freue.
Annina Dietsche-Veit