„Hinter dem Ladentisch“, heisst das neue Buch der Autorin Jolanda Spirig. Sie erzählt darin die Geschichte einer Familie zwischen Kolonialwaren und geistlichen Herren. Was für Auswirkungen die Corona-Krise auf die Erscheinung ihres Buches hat, verrät Jolanda Spirig im Gespräch mit „Werdenberg Aktuell“.
Jolanda Spirig, kurz vor dem Veranstaltungsverbot erschien ihr neustes Werk «Hinter dem Ladentisch». In der Folge wurden alle Buchpräsentationen und Lesungen abgesagt. Was für Auswirkungen hat diese Einschränkung auf Sie als Autorin sowie die Verkaufszahlen?

Erst mal war da keine Einschränkung, sondern viel Zeit. Statt mit Büchern und Laptop in der ganzen Deutschschweiz herumzureisen, habe ich mich wunderbar erholt. Die Verkaufszahlen waren trotzdem sehr erfreulich, aber sie wären noch höher gewesen, wenn die Lesungen stattgefunden hätten.
Andererseits hatten und haben die Leute mehr Zeit zum Lesen. Dies könnte für den Verkauf ja auch förderlich sein?
Ja, das Medium Buch passt perfekt zum Daheimbleiben, zumindest für jene, die nicht gleichzeitig im Homeoffice arbeiten und Kinder betreuen müssen. Ihnen gebührt mein grosser Respekt.
Wie gehen Sie persönlich mit der aktuellen, ausserordentlichen Situation um?
Ich lebe in einem grossen alten Haus mit Bürogeschoss und Garten. Da ich seit Jahrzehnten alleine arbeite, musste ich mich nicht gross umstellen. Die Marbacher Detaillistinnen Hedy und Nadja Dintheer lieferten mir alle Lebensmittel nach Hause. Ich habe also nicht nur einen Lebensmittelladen im letzten Jahrhundert beschrieben, sondern die Vorzüge dieser flexiblen Nahversorgung auch ganz unmittelbar schätzen gelernt. Ich bin nach wie vor vorsichtig mit sozialen Kontakten. Abgesehen von meinem Lebenspartner habe ich nur wenige Leute getroffen. Die kulturellen Anlässe und entspannten Begegnungen fehlen mir, aber sie sind zum Glück schon bald wieder möglich.
Sie schreiben über wirtschaftliche, politische und gesellschaftlichen Entwicklungen anhand von Einzelbeispielen. Wird es auch bald ein Buch über die Corona-Pandemie und die daraus erfolgte Krise geben? Allenfalls würde sich ja sogar «Ihre» Geschichte anbieten. Wie Sie persönlich die ganze Situation erleben.
Nein, sicher nicht! Ich brauche zwei bis drei Jahre, bis meine Bücher im Buchhandel sind. Bis dann will niemand mehr etwas über diese Pandemie lesen. Ausserdem schreibe ich nicht gerne über meine aktuelle Befindlichkeit. Die kenne ich ja schon. Wenn ich schreibe, will ich eine neue Welt entdecken. Ich muss sozusagen Fährte aufnehmen, damit sich eine Geschichte entwickeln kann.
Verschiedene Anlässe waren geplant um «Hinter dem Ladentisch» vorzustellen. Werden diese Veranstaltungen noch nachgeholt oder machen Sie sich Gedanken, neue Medien zu nutzen. Beispielsweise in Form von einem Live-Stream der einer Video-Lesung?
Meine Bücher sind Longseller. Die Lesungen verteilen sich in der Regel über drei Jahre. Wir haben also noch Zeit. Ich nehme an, dass die abgesagten Lesungen zu einem späteren Zeitpunkt stattfinden und dass neue Leseanfragen hereinkommen, sobald solche Veranstaltungen wieder möglich sind. Zu Video-Lesungen schreite ich erst, wenn gar nichts mehr läuft.
Mehr zum Buch: «Hinter dem Ladentisch» von Jolanda Spirig
Hinter dem Ladentisch steht nicht nur Martha Artho, die Detaillistin. Dort steht auch Martha junior, geboren 1941. Auf der zweiten Stufe der Treppenleiter verfolgt sie die Verkaufsgespräche, die keinesfalls unterbrochen werden dürfen. Das gewissenhafte Mädchen wächst zwischen Mutters Kolonialwarenladen und der Vatikanischen Botschaft in Bern auf, wo ihr Vater als Gärtner-Chauffeur arbeitet. Die kleine Martha registriert, was andere übersehen. Sie stellt kritische Fragen und deckt Ungereimtheiten auf. An den kirchlichen Verkündigungen und gesellschaftlichen Schranken, die Frauen auf den zweiten Platz verweisen, zweifelt sie früh. «Das meinst du nur», heisst es oft, wenn sie über ihre Wahrnehmungen spricht.
Während die Diplomaten und ihre strebsamen Sekretäre im Vatikan Karriere machen, zieht die Detaillistin ihre drei schulpflichtigen Töchter nach dem frühen Tod des Vaters alleine gross. Mit ihrem kleinen Lebensmittelladen und ganz ohne kirchliche Rente. Die (Emanzipations-) Geschichte, die sich wie ein historischer Roman liest, aber auf Fakten basiert, spielt sich vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen der Vierziger- und Fünfzigerjahre ab. Sie zeigt den Alltag einer Familie des unteren Mittelstandes und die religiöse Prägung beispielhaft auf und wird so zum eindrücklichen Zeitzeugnis – ein wertvoller Beitrag zur Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Schweiz.
Das neue Buch von Jolanda Spirig ist in den letzten Wochen breit und prominent besprochen worden, doch gelesen hat die Rheintaler Autorin bisher nur zweimal: an der Buchvernissage in St. Gallen und an der Buchpräsentation in Bern, wo die Geschichte spielt. Mit dem Lockdown wurden alle weiteren Veranstaltungen abgesagt. Auch jene in Altstätten, wo die Rheintaler Autorin auf das Berner Thema gestossen war: Martha Beéry-Artho, die als kleines Mädchen hinter dem Ladentisch der Mutter stand, gründete vor zehn Jahren die IG Frau und Museum. Diese Frauengruppe konzipierte 2017 die Ausstellung zu den Stickerfrauen im Rahmen der Jacob-Rohner-Ausstellung im Museum Prestegg.
Literatur: Hinter dem Ladentisch Eine Familie zwischen Kolonialwaren und geistlichen Herren Chronos Verlag, Zürich, Februar 2020, ca. 176 S., ca. 20 Abb. s/w. gebunden.